27. Dezember 2011

Étape 12 Chambord - Boulancourt

Vorletzte Etappe ... dämmert es mir, als ich aufwache. Es ist kurz vor 7 Uhr und unten sind die Lieges schon eifrig dabei, mit allerlei Geschirr zu klimpern: Anders als wir haben die keinen Urlaub. Wir haben ihnen versprochen, auch früh aufzustehen, damit sie hinter sich iher Haus abschließen können.

Schwerer Schädel - zu viel Cidre gestern!
Flow ächzt, als habe er die Nacht zum Tag gemacht und schaut mit völlig zerstörtem Gesicht aus der Wäsche, als habe man ihm mitten aus dem Schlaf gerissen. Was gar nicht so weither geholt ist - "Scheiße, ich habe nicht mal zwei Stunden geschlafen!", raunt er in den Morgen.



Als wir uns kurz nach 8 Uhr auf die Strecke machen, haben wir mit Madame und Monsieur Lieges einen löslichen Kaffee getrunken, gegessen habe ich nichts, Flow hat sich an einer Schale Crunchies probiert.

Wir kurbeln unstet los, es grüßt "Die Nacht der reitenden Leichen", ein schöner Anblick ist das wahrlich nicht!

Mir geht es ein wenig besser, jetzt, da wir aus der stickig-heißen Luft des Dachbodens raus sind, die Sonne steht schon fröhlich hoch oben und ich bin mir sicher, dass heute ein wundervoller Tag werden wird.

"Ach, ich brauche nur was richtiges zum Frühstück, dann ist alles okay", rufe ich Flow zu, der hinter mir antriebslos herkurbelt.
"Ich muss erstmal 1, 2 Stunden schlafen!". Dass das kein Witz ist, werde ich gleich erfahren.



Es geht einige Kilometer durch dichten Wald - das Jagdrevier Franz des Ersten, vorbei am wunderschönen Chateau Chambord und der Loire entgegen. Wir beschließen, im nächsten Ort bei einer Boulangerie anzuhalten - so würde ich mein Frühstück und Flow "auf irgendeiner Wiese" seinen Schlaf bekommen.

Ist bei ihm die Luft raus? Jetzt, nach 11 Etappen und knapp 1.400 Kilometern - kommt Flow an seine Grenzen? Als er so auf den Stufen eines Ledergeschäftes - mitten im Weg der Kunden, die ihn aber nicht mehr interessieren - hockt, sich zusammen fallen lässt und wegdämmert, während ich das größte anzunehmende Baguette, das man in Mer bekommen kann, esse, sieht es jedenfalls so aus.


Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt: Erst, als sich immer mehr Kunden naserümpfend über den dahinlümmelnden Flow beschweren, satteln wir wieder auf.

"Ehrlich, Digger, ich muss mich wirklich ein, zwei Stunden hinlegen", stammelt er sichtlich angeschossen: "Sonst geht heute gar nichts mehr!" Wow, dass er wirklich anscheinend nicht eine Minute geschlafen zu haben scheint, wird mir er jetzt richtig bewusst.

Wir beschließen, uns irgendwo "außerhalb" eine nette Stelle zu suchen, bei der man sich ungestört besagte Stündchen ins Gras hauen kann - ein Novum unserer Petite Boucle: Wir wollen es heute also langsam angehen.


Es geht noch einige Kilometer durch Wald, dann lassen wir das saftige Grün der Loire-Wälder hinter uns und tauchen ein in eine landwirtschaftliche Landschaft, die Kornfelder bis zum Horizont für uns bereithält. Gold-gelbe Ären, mal geernte und mal sich mild im Wind biegend, soweit das Auge reicht.

Der Wind kommt seicht von der Seite, aber wir haben es sowieso nicht eilig. Obschon heute mit 130 Kilometern keine unbedingt als kurz zu bezeichnende Etappe auf dem Programm steht, ist Flow kaum in der Lage, das Tempo auch nur annähernd so hoch zu halten, wie bei den letzten Etappen und so radeln wir mit 28, 29 km/h dahin: Ganz und gar die Speed, die ich als "tourentauglich" bezeichnen würde. Mir macht es Spaß!


Wir fahren nicht lange, da erkennen wir rechts neben uns ein mächtiges Atomkraftwerk. Ein beängstigender Anblick, wie die riesigen Kühltürme dastehen, die betonummantelten Meiler selbst stehen einige hundert Meter querab. Später, zuhause, finde ich heraus, dass es sich hier um das AKW Saint Laurent des Equx handelt, das auf einer Insel in der Loire steht. (Auf Französisch klingen sogar die AKW-Namen noch sexy ...)


Nach 16 Kilometern finden wir einen Gasthof namens Les Trois Maillets, hinter dem riesigen Parkplatz scheint ein kleiner Obsthain mit einer gepflegten Liegewiese genau das zu sein, was Flow jetzt braucht. Stöhnend steigt er ab, mit letzter Kraft lehnt er sein Rennrad an einen der dürren Bäume, lässt sich ins Gras plumsen und ist auf der Stelle eingeschlafen.


"Gute Nacht", raune ich und mache es mir einige Meter von Flow entfernt gemütlich - außerhalb der Schnarchreichweite. Bald schon dämmere auch ich etwas weg, schlafe immer mal wieder ein, dann und wann weckt mich das Gezwitscher eines Vögelchens oder das entfernte tiefe Tuten eines vorbeifahrenden Zuges.

Idylle hier.

Direkt vor mir beginnt das Feld. Korn, pralle Ernte, überwältigendes Gold. Daüber ein Himmel - zerfurcht von den Kondensstreifen vorbeifliegender Flugzeuge. Keine 250 Kilometer bis Paris: Wenn das mal nicht schon die Ein- und Abflugschneisen der französischen Hauptstadt sind?


Wir bleiben etwas mehr als 2 Stunden hier. Es ist das reine Paradies. Kaum Geräusche, keine Hektik, kein Speed, kein Freilauf - es ist vielleicht der erste Tag unseres Urlaubes, der sich wirklich nach Urlaub anfühlt.

Irgendwann wacht auch Flow auf, geht pinkeln und streckt sich in die Luft, schaut mich an und sagt: "So. Und jetzt starten wir die Etappe!"


Was er damit meint, merke ich, als wir wieder auf der Straße sind. Gewohnt kräftig tritt er in die Pedale, bald schon haben wir unsere "normale" Geschwindigkeit drauf und wie immer hechle ich in Flows Windschatten her und zähle die Kilometer. Wann sich wohl mein Hintern melden wird?

Erstmal aber konzentriere ich mich auf das erste Zwischenziel des heutigen Tages - Orleans, die Stadt von Jeanne d´Arc und der letzte große Anlaufpunkt vor Paris. Wir brauchen 35 Kilometer, als etwas mehr als eine Stunde, bis sich die ersten Vororte der Stadt ankündigen. Da auch Flow lange nichts mehr gegessen hat sprechen wir uns kurz ab, hier eine Pause einzulegen.


Anders als Tours ist Orleans sehr viel dichter bevölkert - Menschenmassen, Touristen und Autos wohin das Auge blickt, das Zentrum quillt fast über. Wir schieben durch eine Fußgängerzone unsere Rennräder, suchen eine Boulangerie oder Café zum gemütlichen Hinsetzen, fühlen uns vom Trubel aber eher abgestoßen.



"Ohne den Dom gesehen zu haben, fahre ich hier nicht weg!", beschließe ich und drängle mich durch die Tourimassen, bis ich endlich einen Blick auf die wunderschöne Kathedrale erhaschen kann. Sicher, an die massive Schönheit des Kölner Wahrzeichens kommt das hier nicht heran, dafür strahlt dieser Kirchenbau etwas authentisches, wahre Geschichte aus.

Flow geht für ein paar Minuten nach Innen, um ein kleines Gebet gen Himmel zu schicken.


Da wir noch immer nichts gegessen haben und der frühe Nachmittag schon eingeläutet ist, beschließen wir, in einem der unzähligen Supermarchés am Stadtrand Essen einzukaufen, was wir dann auch einige Kilometer später tun.

Ein riesiges Baguette, Fruchtsäfte, Wurst und Bananen breiten wir aus, machen es uns auf einer Steinmauer direkt an der Loire bequem. So sitzen wir einfach da, essen uns die knurrenden Mägen voll und schauen immer wieder dem Flusslauf nach.

"Das hier ist das letzte Mal, dass wir die Loire sehen", sagt Flow. Und da wird es auch mir klar, dass wir wohl in wenigen Kilometern den Fluss verlassen werden, um gen Norden zu drehen: Paris entgegen.


Etwas wehmütig sagen wir Lebewohl zu dem Wasserlauf, der uns nun schon so viele Tage und Kilometer begleitet hat, satteln wieder auf und treten in die Pedale: Wir haben noch zirka 60 Kilometer vor uns und Flow scheint, als wolle er den Rekord im Zeitfahren brechen, als er wieder ein mörderisches Tempo vorgibt.


Jetzt, da wir nach Norden fahren, haben wir mit unangenehmem Gegenwind zu kämpfen. Zudem scheint er uns die gesammelte Hitze dieses Tages entgegen zu werfen: Schnell schwitzen und hecheln wir wie die Hunde, ich habe meine Mühe, an Flow dranzubleiben.

Die Landschaft allerdings ist beeindruckend wie eh und je: Goldgelbe Kornfelder, Sonnenblumenfelder ... wir fahren durch Tour de France-Klischees.


Wir spulen die Kilometer ab. Flow müht sich vorn im Wind ab. Ich versuche, an ihm dran zu bleiben. Das alte Spiel. Die Straßen werden immer leerer - verwunderlich, kommen wir doch mit jedem Kilometer immer näher an Paris heran. Aber anscheinend bewahrheitet sich das, was sie uns schon seit Nizza sagen: "Mit dem Fahrrad nach Paris? Unmöglich! Da kann man nur auf der Autobahn oder mit dem Zug hinfahren."

Wir werden ihnen das Gegenteil beweisen.


"Lass uns nochmal Proviant holen!", ruft Flow und kauft bei einem der letzten Supermarchés vor unserem Zielort nochmal ein. Unsere Etappe wird heute in Boulancourt enden - dort werden wir bei den Eltern von Fixe übernachten.

Flow war hier schon einmal mit seinem besten Freund und der Fußballmannschaft, für ihn also ein Etappenziel von besonderer emotionaler Bedeutung. Er freut sich schon seit Tagen wie ein kleiner Junge - vielleicht eine Erklärung dafür, warum er so reinhaut.


Wir machen drei Kreuze, als wir uns einige Kilometer lang bei einem Mähdrescher ranhängen und locker 40 km/h haltend fast freihändig die Landschaft durchpflügen. Da stecken wir dann auch den Dieselgestank locker weg. Wir setzen uns an die erste Stelle hinter dem ersten von drei Mähmaschinen. Immer wenn ich mich umdrehe, winkt der Steuermann aus seiner Steuerkanzel.



Irgendwann biegen wir nach "Sonntagsdorf" ab, passieren Malesherbes und finden uns in am heutigen Etappenziel wieder: Boulancourt.

Flow fährt sofort zum mächtigen Torbogen, zeigt mal hierhin, mal dorthin, nur bruchstückhaft schreit er teilweise aus hundert Metern Entfernung Anekdotenbruchstücke aus seiner Jugend, er freut sich wie ein kleines Kind, tänzelt fast auf dem Rad, weil er hinter der nächsten Ecke eine nächste Erinnerung weiß.

So gelöst habe ich Flow schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Vermutlich ist das hier der Höhepunkt seiner Tour.


Es führt eine schnurgerade Straße vom Haupttor bis ans andere Ende des kleinen Dörfchens. Dieser folgen wir und passieren kurz nach dem Ort einen kleinen Campingplatz, auf dem verschlafen einige Zelte und Trailer stehen. Am Ende der Straße liegt ein prächtiges kleines Land-Chateau mit einem luxuriösen Golfplatz.

Wir fahren zu einer Landmaschinenstation außerhalb von Boulancourt - und treffen Monsieur Villard. Ein Bild von einem Mann! Groß, stämmig, weißes Haar und eine Ausstrahlung, die einen jeden unweigerlich in seinen Bann ziehen muss.

"Ah! Da seid Ihr ja!", scheint er schon von weitem zu rufen: Hier freut sich aber jemand wirklich, dass wir kommen. Flow und Monsieur umarmen sich wie alte Freunde - anscheinend ist Flow für den Herrn Villard wie ein direkter Kontakt zu seinem Sohn Fixe, der ja bei uns in Hamburg wohnt.
"Okay, passt auf", sagt er (in etwa), "Ich muss noch 2, 3 Stunden die Ernte einbringen - fahrt ins Dorf zu meinem Zeltplatz, sagt dem Pächter, dass Ihr von mir kommt und duscht erst einmal, okay? Meine Frau und meine Tochter kommen bald - die können Euch dann reinlassen."
"Ok, d´accord!", stimmen wir ein und verabschieden uns.

Wow, was für ein toller Mann!

"Okay, lass uns duschen.", sagt Flow und wir kehren um.


Die Straße runter finden wir besagten Zeltplatz.
Besitzer: Monsieur Villard.
Ein etwas missgestimmter Platzwärter empfängt uns.

"Was wollen Sie?", fragt er.
"Wir kommen von Monsieur Villard.", sagt Flow sicheren Tons. "Er sagt, wir dürfen hier duschen." Der Mann runzelt die Stirn. Schaut uns komisch an: "Monsieur Villard? Wieso der?"
Flow guckt mich an.
"Na, weil er es uns erlaubt hat, d´accord?"
Der Mann schaut noch griesgrämiger. Faselt was von "1 Euro bezahlen".
"Nein, nein, kostenlos!", insistiert Flow.
Ich ziehe ihn an einem Arm in die Dusche - soll der Manndoch weiterreden ...

Wir sind fertig. Trocknen kurz in der Sonne.
Da kommt der Pächter wieder. Ruft im Vorbeigehen was von "15 Euro bezahlen ...", als es Flow zu bunt wird: Er steckt 2 Euro in die Sammelbüchse. "Los, weg hier!", ruft er. Wir ergreifen die Flucht, bevor der Griesgram aus dem Büro zurück kommt.

Komisch ...

Wo wohnen die Villards? Wir fahren durch mehrere Straßen des Dorfes - irgendwann haben wir, so scheint es mir, jede Ecke von Boulancourt abgegrast. Das Dorf ist ein Bilderbuch von einem Klischee - wunderschöne Natursteinhäuschen, einige leider vernagelt und "zu verkaufen", aber alles sehr gepflegt und ansehnlich.

Wir treffen keine Menschen hier, fast scheint es, als seien wir Überlebende des atomaren Holocausts auf der Suche nach Anschluss. Beim Zeltplatz nachfragen, kommt nicht mehr infrage. Schließlich treffen wir eine kleine Gang Teenager, die uns sichtlich interessiert beäugen.

Flow fragt, ob sie wüssten, wo die Villards wohnen. Er nennt eine Straße.
Sie deuten in eine Richtung, der wir folgen.


Wir finden tatsächlich das riesige Haus. Allerdings macht uns niemand auf.
"Sind wohl noch unterwegs ...", meint Flow. "Chillen wir!"

Aha, deshalb also der Einkauf im Supermarché vorhin.

Wir holen uns in der lokalen Boulangerie noch zwei Bier und machen es uns auf einer Bank vor der kleinen Kapelle des Örtchens bequem. Als Flow sein Bier aus hat, schläft er sofort wieder ein. Man, den hat es gestern Nacht scheinbar total erwischt!


Flow stürzt das Bier herunter - und nickt sofort auf der Bank ein.
Ich nutze die paar Minuten und telefoniere mit Zuhause. Wie es mir gehe, fragen sie. Tja. Was antwortet man da?

Ich schwanke zwischen ein bisschen Genervtsein von Flow und gleichzeitiger Traurigkeit ob des morgen endenden Trips. Wanke immer wieder zwischen körperlicher Ermattung und den unzähligen, überwältigenden Eindrücken der bisherigen 1.400 Kilometer auf den Spuren der Tour. Ambivalent - und doch überwiegt das Glücksgefühl, wie es ja auch sein sollte.

Nach ein, zwei Stunden rappeln wir uns auf und fahren zum Haus der Villards.
Wir klingeln, es öffnet eine Dame.
"Bon jour, Madame", grüßt Flow freundlich, "Wir sind die Freunde von Fixe."
Sie nickt durch das 3 Meter hohe Eisentor. "Ja. Und?"
Flow stutzt. "Äh ... also ... hat er Ihnen nichts gesagt?"
Nun stutzt sie. "Non."

Ich glaubs nicht!

"Also ... Fixe meinte, wir können hier übernachten.", Flow startet eine Charme-Offensive. "Wir haben auch schon mit Ihrem Mann gesprochen ..." Da schießt ein kleines Mädchen um die Ecke: "Bonjour!", tönt sie fröhlich.
"Bonjour, Madmoiselle!", tönen wir zurück.

Die Dame taxiert uns. Begeister ist sie nicht. Und offensichtlich weiß sie auch nichts von unserem Eintreffen. Na super! Nach scheinbar endlosen Minuten öffnet sie das massive Tor: "Okay, Ihr könnt auf den Hof kommen - ich bespreche das mit meinem Mann, wenn er da ist."
"Na, immerhin sind wir schon auf dem Vorhof ..."


Etwa eine Stunde später trifft des Familienoberhaupt vom Feld ein. Sofort bittet er uns ins Haus. Wie selbstverständlich weist er seine Frau an, Essen aufzudecken. "Und gleich erzählt Ihr mir alles - wirklich alles! - von Eurem Trip!", gibt er die Parole fürs Abendessen aus und geht sie umziehen.

Zunächst zerknüllt, dann immer lockerer werdend - nicht zuletzt, weil wir uns sehr angeregt mit ihrer Tochter unterhalten - begegnet uns dann auch Madame. Wir sitzen in der Küche, während sie ein Abendessen aus Maccheroni, Brot & Wurst und Ommelette improvisiert, helfen der Kleinen bei den Hausaufgaben und sprechen über dies und das.


Später gesellt sich Monsieur Villard dazu, der mit ganzer Spannung unseren haarsträubenden Stories vom Col de lan Bonette, den Alpen, dem Mont Ventoux und unseren Abenteuern im Haute Medoc lauscht - besonders hat es ihm dabei mein Garmin Edge angetan. "C´est formidable!"

"Habt Ihr gut geduscht?", fragt er.
Flow und ich schauen uns an. "Ähm, joaaaa, geht so ...", weichen wir aus.
"Wieso?"
"Also, der wollte uns zuerst nicht lassen ... dann hats einen Euro gekostet.", meint Flow.
"Und dann 15 Euro.", ergänze ich.
"Was?!?", gibt er erschüttert zu, "15 EURO?!?"

Wir erklären, was uns widerfahren ist. Madame runzelt die Stirn: "Bei welchem Zeltplatz wart Ihr denn?"
"Na bei dem an der Hauptstraße ...?", geben wir zu Protokoll.

Monsieur Villard und seine Frau starren sich ein paar Sekunden an.
Dann prusten sie lauthals los.
Fast halten sie sich die Bäuche.
"Wisst Ihr, wo Ihr wart?"
"Äh ... non."
"Bei meinem Cousin.", sagt Monsieur immer noch lachend: "Er hat den Konkurrenz-Zeltplatz. Unsere Familie ist mit ihm zerstritten ..."

Nun müssen auch Flow und ich lachen.
"... wir dürfen hier kostenlos duschen ..."
Unglaublich.


Da er morgen schon in aller Frühe wieder aufs Feld muss, machen wir in der untergehenden Sonne ein Abschiedsfoto - bevor uns Monsieur Villard im leer stehenden Nebenhaus das Gästezimmer zeigt.

Eine tolle Familie!

Wir machen uns bettfertig und fallen fast sofort in den Tiefschlaf: Flow rafft es als ersten dahin, da er noch an den Nachwirkungen der durchwachten Nacht bei den Lieges zu knabbern hat, mir stecken die 130 Kilometer der heutigen Etappe mächtig in den Knochen, obschon ich mich freue, dass mein Hintern heute alles in allem einen Ruhigen gemacht hat: Kein Zwicken, kein Meckern und - das Beste - kein Blut in der Innenseite der Radlerhose.


So geht langsam die Sonne über Frankreich unter.
In Boulancourt, 80, 90 Kilometer südlich von Paris.

Morgen. Morgen sind wir in Paris. Morgen endet diese Tour. Kaum zu glauben.
Wieder dieses Schwanken.
Ambivalenz.
Erschöpfung.
Glück.

Morgen also: Der Epilog auf dem Champs Elyseés.